geschrieben von Theresa Lichtenstern
„Theresa, schau mal bitte… Der schaut aus wie Oskar! Das ist doch ideal zum Kutsche fahren!“
Ein paar Telefonate und Emails später war Benjamin, einer der ersten Notesel, vermittelt. Schon wenige Tage später konnten wir den kleinen Kerl aus dem Schwarzwald abholen. Dort stand er auf einem Reiterhof in einer extra abgetrennten, geräumigen Box und schaute die Hofeinfahrt hinab.
Eigentlich schien er auf den ersten Blick gar kein Esel in wirklicher Not zu sein, doch die Besitzerin klärte uns auf: Kurz nach der Entwurmung bekam er Hufrehe und musste täglich intensiv versorgt werden. Die Besitzerin wollte ihn schließlich weggeben, weil er noch dazu von der Koppel ausbrach und über den ganzen Reiterhof schrie. Außer einer leichten Fehlstellung an der Fesselung, inzwischen vom Familien-Hufpflege-Papa behoben, schien er gesund, also wurde er verladen und wohnt seitdem zusammen mit Oskar in Pitzling bei Landsberg.
Dort angekommen durfte er seine neuen Stallkollegen erst einmal aus der Quarantäne betrachten, doch schon bald musste er sich im Offenstall seinen Platz in der Hütte selbst behaupten (was ihm ganz vorzüglich gelingt); wenn Benjamin Hunger hat, kann er auch die Kaltblüter vom Heu vertreiben.
Anfang August 2006, kurz nachdem Benjamin zu uns gekommen ist, sollte er erst einmal Vertrauen zu uns fassen und so waren wir oft mit ihm spazieren. Doch schon stand das Eseltreffen in Forst vor der Tür: Benjamin war natürlich auch von Anfang an mit dabei, wenn auch im ersten Jahr mangels Übung nur im Hindernisparcours.
Wieder zu Hause haben wir ihn aber auch gleich an die Aufgaben eines aktiven Familien-Dorf-Esels gewöhnt. Noch in den Sommerferien waren wir drei Tage auf dem Weg zu Verwandten in Marktoberdorf, als sich plötzlich herausstellte, dass der angeblich schon fünfjährige Esel noch Zähne verlor! Wir schätzten Benjamin auf drei bis vier Jahre und haben das auch bei seiner weiteren Ausbildung und bei der Belastung berücksichtigt. Das für Winter geplante Einfahren musste verschoben werden, so mussten dann bei einem Familienwochenende auf der Starkatsgund bei Immenstadt doch wir ein Teil von seinem Gepäck hoch tragen. Aber dafür blieb genug Zeit noch einen Fahrkurs („Kutschenführerschein“) mit Abzeichenprüfung zu absolvieren.
Benjamin war so brav, dass er am langen Strick als Kutschen- und Reitbegleitesel auch nebenher laufen durfte. Wer sich jetzt denkt „der arme Esel!“ liegt falsch, für Benjamin gab es nichts Schöneres als im gestreckten Galopp vor meinem Paint Horse herzu rennen oder mit Oskar ein Wettrennen zu starten. Das wirkte sich natürlich positiv auf seine Figur, besonders die Bemuskelung aus.
Benjamin und Oskar dürfen jedes Jahr beim Martinsgänseausteilen helfen, den Palmsonntagsumzug anführen oder in der „lebendigen Krippe“ mitmachen.
So vergingen zwei Jahre, bis wir schließlich im Sommer 2008 angefangen haben beide Esel zunächst einspännig anzuspannen. Es gab zwar zu Beginn ein paar Probleme das passende Geschirr zu finden, doch mit der nötigen Ruhe und unserer Erfahrung von den Pferden konnten wir die beiden nach drei Monaten Einzelausbildung schon zweispännig fahren. Seitdem kommt in Pitzling der Nikolaus nicht mehr mit Rentieren, sondern mit Eseln durchs Dorf gefahren.
Im Frühling 2009 ist Benjamin dann auch noch Ziehpapa geworden: Der „kleine“, neun Monate alte Großeselhengst „Krümel“ kam zu uns. Benjamin passt auf ihn auf, wenn er schläft und Krümel folgt ihm auf Schritt und Tritt über die Koppeln, und weicht selbst neben der Kutsche nicht von ihm.
Benjamin und Oskar haben vor der Kutsche so gut mitgearbeitet, dass wir auf dem Eseltreffen in Forst 2009 bereits im Fahrwettbewerb antreten konnten. Zusammen mit Führklasse und Zuchtbewertung reichte die Gesamtpunktzahl für einen überraschenden Doppelmeistertitel: bundesweit wurde Benjamin Bester Wallach und Oskar Bester Hengst 2009! Außerdem wurde Benjamin noch Dritter in der Zuchtbewertung und erreichte Zuchtwertklasse I.
Benjamin mauserte sich in nur drei Jahren vom ersten Notesel bis zum Deutschlandsieger und wir hoffen, dass wir noch viele lange Jahre Freude mit ihm haben werden. Jetzt müssen wir erst einmal wieder trainieren: Anfang Oktober steht eine Streckenfahrt zusammen mit Pferden auf dem Programm, und wir wollen ja schließlich nicht als langsame, sture Esel, sondern als Deutschlandsieger gesehen werden! 😉